Aus "Opernwelt", September/Oktober 2000

Andreas Berger: Frag die Sonnenuhr

"Mit der Oper ins Museum? So grundsätzlich hat es Joachim Rathke natürlich nicht gemeint, als er sich in den Kopf setzte, Reinhard Keisers deutschsprachige Barockoper "Ulysses" in den Barockgemäldesälen des Braunschweiger Herzog-Anton-Ulrich-Museums zu inszenieren. Die Sammlung von Keisers einstigem Dienstherrn bildet hier den farbigen Kontrast und die stilistische Referenz zu einem in klassischem Weiß gehaltenen, leicht und andeutungsreich erzählten Opernspiel.
Dazu musste sich das Publikum mit den Akteuren durch drei Räume des Museums bewegen: Vorwärts bis zur ersehnten Ankunft des Ulysses, dann wieder zurück, gemäß seiner Verblendung durch Circe, erneut vorwärts zum heimischen Hof und Happy End mit der wartenden Gattin Penelope, und endlich hinaus in die Gegenwart. Da stimmt dann die Zeit persönlich einen Epilog an, so wie eine aus wenigen Steinen imitierte Sonnenuhr, von goldenen Amouretten bedient, eingangs den barocken Vanitas-Gedanken in Erinnerung geholt hat.
Ohne dass die Moral nun erdenschwer auf dem Geschehen lastet, hebt sich Rathke damit von anderen, bloß den einstigen Unterhaltungswert poppig transponierenden Inszenierungen erfreulich ab. Auch formal nutzt er immer wieder barocke Strukturen, so wie Imke Sturm den klassischen Schnitt barocker Antikenvorstellungen in ihren blütenweißen Kostümen zitiert. Die Stuhlreihen der Zuschauer ergeben zwei symmetrische Gassen, in denen sich den Sängern jeweils ein stummes Double zugesellt und so die Wirkungslosigkeit ihres Dialogs ausdrückt.
[...] Dem Braunschweiger Staatstheater kann man nur Mut wünschen zu weiteren Barockerkundungen dieser Art."

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